Harry Potter in der Kneipe
Ein Treffen mit Harry Potter in der Kneipe Fiebrige Ausbrüche eines Wahns Siehst du ihn etwa? Schnell, komm rein! Lauert er nicht dort hinten in der Ecke, der Virus? Was – ein Es? Für mich ist das Virus männlich. Alles ruhig? Ich glaube, wir haben das Schlimmste überstanden. Schön das du ein bisschen Zeit gefunden hast. Hier in der Kneipe, da kennt dich kein Schwein. Siehst eh ganz anders aus als auf den Buchdeckeln. Nein, nicht schon wieder Butterbier! Ich lad dich ein: Kännchen grüner Tee? Okay. Hilft vorbeugen gegen diesen verflixten kleinen grünen Virus. Luise, bitte zwei Kännchen Gunpowder! Was glaubst du, wie viele Menschen er hierzulande gebissen hat, der Virus, ohne Ansehen von würde, Amt und Alter? Allein in meiner Kleinstadtbuchhandlung wurden über 1500 Bücher mit deinen Abenteuern verkauft. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Winnetous Eins, sagt mir meine Buchhändlerin, wurde ganze drei Mal im letzten Jahr verlangt. Kannst du dir das vorstellen: unser Edelmensch, der Generationen von Lesern schlaflose Nächte bereitete, nur noch drei Mal verkauft. Im Jahr! Die neue Pilcher immerhin noch 55 Mal, der Feldbusch-Spinatplopp 40 Mal, das Gotteslob auch so ungefähr, der Kleine Steuer-Konz 28 Mal und Hera Lind kannst du inzwischen vergessen! Nach Sophies Welt hab ich gar nicht gefragt. Die Folgen deiner gedruckten Abenteuer kennst du ja. Standen sicher im Tagespropheten: Veitstände in Buchhandlungen. Fiebrige Ausbrüche eines Wahns, den man schon ausgerottet glaubte, wegen Fernsehen und so. Wurde in den vergangen Jahren nur noch selten beobachtet, jedenfalls nicht bei älteren Menschen: der Lesewahn. Ob du’s glaubst oder nicht: Dieser Virus wird gerüchteweise mit Ereignissen in Zusammenhang gebracht, die letztmals im Ostblock beobachtet wurden: Papierknappheit bei Verlagen. Eine große deutsche Tageszeitung verzichtete deshalb sogar auf eine ihrer traditionellen Literaturbeilagen in der Vorweihnachtszeit. Harry Potter, hast du geahnt, welchen Einfluss du, entschuldige, du Steppke von 13 Jahren, auf den globalen Buchmarkt ausüben würdest? Wie viele Verleger, Manager und Agenten sich deinetwegen die Hände reiben? Wie viele provisionslose Buchhändlerinnen und Auslieferer dich mehr als einmal zum Teufel jagen wollten? Fang jetzt nicht an zu zittern! Trink noch einen Schluck Tee. Du kannst nix dafür. Wichtig ist, wie viele Menschen du glücklich gemacht hast. Wenigstens für ein paar verlängerte Augenblicke, in denen sie nicht an die tägliche Kacke denken mussten. Manche haben sich allen Ernstes einen Zauberstab für 16,80 gekauft, damit sie’s ihren Diktatoren endlich mal zeigen können. Haben doch nicht begriffen, worauf’s wirklich ankommt, obwohl sie deine Bücher verschlungen haben: auf den Mumm in der eigenen Seele, nicht auf so einen blöden Plastikstab. Wenn die Händler in der Winkelgasse das sähen, sie würden die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Bescheuert! Aber so sind sie halt mal, kennst es ja von Onkel Vern und Co. Greif zu! Köstliche Muffins. Hat mir meine Buchhändlerin für dich mitgegeben. Noch’nen Schluck Tee? Ja, du hast Recht: verdammte Verantwortung, und ich glaub’s dir, dass du das nicht gewollt hast. In deinem Alter plagen dich weiß Gott andere Sorgen. Find‘ ich übrigens gut, dass du dich mit deinen Leuten zwei Jahre in die schottische Bergwelt zurückziehen wirst, abseits von diesem Trubel. Weißt du, was der Cornelius gesagt hat, zwölf Jahre alt, als er das erfuhr? „Ich kann nicht zwei Jahre warten, weil: Sonst fehlt mir was in der Welt.“ Eigentlich hat er Recht: Es fehlt tatsächlich was. Aber genau das ist doch die Chance für alle Corneliüs und Cornelien. Wenn die in Hogwarts waren und die geheimen Gänge kennen, werden sie feststellen, dass es nicht nur eine unterirdische Verbindung nach Hogsmeade gibt, sondern in viele fantastische Welten in vielen anderen guten Büchern. Weißt du, was die Löffler gesagt haben soll? Du kennst die Löffler nicht? Das ist so eine kluge Lesetante. Weißt du, was die gesagt haben soll? Harry Potter sei Tolkien für Arme! Als ob es eine Grenze zwischen deiner Welt und der von Tolkien gäbe. Als ob man einen V.I.P.-Passierschein bräuchte, um ins Auenland zu kommen. Blödsinn! Wer einmal durch Harry Potters Landschaften gewandert ist, der wird zahlreiche Pfade in anderen Lesewelten entdecken, und Tolkiens Auenland gehört dazu. Natürlich muss man die Augen offen halten und gute Freunde informieren. Genau, gute Freunde! Weißt du, was ich kürzlich im Zug erlebt habe? Ein Mädchen, so um die 13, sitzt in meinem Abteil und ist im Feuerkelch versunken. An der nächsten Station steigt ihre Freundin dazu und bittet das Mädchen laut vorzulesen, weil sie auch am Ereignis teilhaben will. Gesagt, getan – so was hab ich noch nie erlebt: Lesestunde im Zug mit Freundin und vier Unbekannten! Willst du noch ein Muffin? Es reicht? Gut. Ach so, wegen deines Rückzugs. Genau das Richtige! Stell dir vor – oder lieber nicht -, du würdest ständig mit deinen Fans konfrontiert. Dieser furchtbare Erwartungsdruck: „Harry, du musst dies, Harry, du solltest das. Gib mir ein Autogramm! Darf ich dich küssen? Gibst du mir eine Locke von deinem Haar??“ Du müsstest ein arroganter Fiesling werden, oder sie würden dich in der Luft zerreißen. Die Menschen, wo gutmütig sie einzel genommen sind – in der Masse werden sie zu Hyänen. So ist das mit den Muggels. Und verrat ja niemanden, wo du dich versteckst. Auch mir nicht. Die Fans werden ohnehin in Scharen nach England reisen, auf der Suche nach Hogwarts. Einige werden schon in der King’s Cross Station vom Bahnsteig kippen, und der britische Fremdenverkehrsverband wird dir irgendwann eine Ehrennadel in Platin anheften. Obwohl, vielleicht wird’s nicht ganz so schlimmes. Isst du eigentlich Rinderhack? Ach, vergiss es, das ist ein anderes Thema. Was ich noch sagen wollte – und bitte, jetzt keine Widerrede: Ich bin unheimlich froh, dass es dich gibt. Ich halt dich nicht für einen Superhelden – das willst du ja Gott sei dank auch nicht sein. Außerdem hab ich wirklich schon bessere Literatur gelesen als die deiner Ziehmutter. Trotzdem: Sie hat etwas geleistet, was hierzulande seit Karl May niemand mehr geschafft hat – und vor allem hat sie’s viel, viel weniger martialisch und dafür um so witziger getan: Sie hat eine Parallelwelt in unsere Welt gesetzt, in der Kinder wie erwachsene ein und aus gehen können. Und ich hoffe, dass viele kleine und große Abenteurer dieses Universums genauso erkunden wie die Realwelt Nummer Eins. Weißt du, es ist unheimlich tröstlich, zu sehen, dass sich so viele Menschen in einer handyfreien Zone wohl fühlen, in der die gemächliche Eulenpost Botschaften übermittelt, nicht das Internet oder das SMS. Vielleicht ist noch nicht alles zu spät. Am schönsten aber ist – und da wirst du mir sicher zustimmen -, dass das gute alte Kopfkino noch lange nicht tot ist. Stell dir vor: das Kopfkino lebt mit all seinen Schikanen – das einzigartige, sinnliche, fantastische Abenteuer in unserem Kürbis! Anscheinend ist der bei einer Menge Leuten doch nicht ganz so voll von Gerümpel, wie man manchmal glauben muss. Harry, ich denke, wir müssen los. Dein Zug fährt fünf nach fünf. Auf Bahnsteig zwei übrigens. Ganz regulär. Bring dich noch zum Bahnhof. Luise, wir möchten zahlen! Ja, genau, vier Kännchen grünen Tee. Also bis Bald. Monolog mit einem Prominenten – Ein Treffen mit Harry Potter in der Kneipe Fiebrige Ausbrüche eines Wahns Siehst du ihn etwa? Schnell, komm rein! Lauert er nicht dort hinten in der Ecke, der Virus? Was – ein Es? Für mich ist das Virus männlich. Alles ruhig? Ich glaube, wir haben das Schlimmste überstanden. Schön das du ein bisschen Zeit gefunden hast. Hier in der Kneipe, da kennt dich kein Schwein. Siehst eh ganz anders aus als auf den Buchdeckeln. Nein, nicht schon wieder Butterbier! Ich lad dich ein: Kännchen grüner Tee? Okay. Hilft vorbeugen gegen diesen verflixten kleinen grünen Virus. Luise, bitte zwei Kännchen Gunpowder! Was glaubst du, wie viele Menschen er hierzulande gebissen hat, der Virus, ohne Ansehen von würde, Amt und Alter? Allein in meiner Kleinstadtbuchhandlung wurden über 1500 Bücher mit deinen Abenteuern verkauft. Das geht doch nicht mit rechten Dingen zu! Winnetous Eins, sagt mir meine Buchhändlerin, wurde ganze drei Mal im letzten Jahr verlangt. Kannst du dir das vorstellen: unser Edelmensch, der Generationen von Lesern schlaflose Nächte bereitete, nur noch drei Mal verkauft. Im Jahr! Die neue Pilcher immerhin noch 55 Mal, der Feldbusch-Spinatplopp 40 Mal, das Gotteslob auch so ungefähr, der Kleine Steuer-Konz 28 Mal und Hera Lind kannst du inzwischen vergessen! Nach Sophies Welt hab ich gar nicht gefragt. Die Folgen deiner gedruckten Abenteuer kennst du ja. Standen sicher im Tagespropheten: Veitstände in Buchhandlungen. Fiebrige Ausbrüche eines Wahns, den man schon ausgerottet glaubte, wegen Fernsehen und so. Wurde in den vergangen Jahren nur noch selten beobachtet, jedenfalls nicht bei älteren Menschen: der Lesewahn. Ob du’s glaubst oder nicht: Dieser Virus wird gerüchteweise mit Ereignissen in Zusammenhang gebracht, die letztmals im Ostblock beobachtet wurden: Papierknappheit bei Verlagen. Eine große deutsche Tageszeitung verzichtete deshalb sogar auf eine ihrer traditionellen Literaturbeilagen in der Vorweihnachtszeit. Harry Potter, hast du geahnt, welchen Einfluss du, entschuldige, du Steppke von 13 Jahren, auf den globalen Buchmarkt ausüben würdest? Wie viele Verleger, Manager und Agenten sich deinetwegen die Hände reiben? Wie viele provisionslose Buchhändlerinnen und Auslieferer dich mehr als einmal zum Teufel jagen wollten? Fang jetzt nicht an zu zittern! Trink noch einen Schluck Tee. Du kannst nix dafür. Wichtig ist, wie viele Menschen du glücklich gemacht hast. Wenigstens für ein paar verlängerte Augenblicke, in denen sie nicht an die tägliche Kacke denken mussten. Manche haben sich allen Ernstes einen Zauberstab für 16,80 gekauft, damit sie’s ihren Diktatoren endlich mal zeigen können. Haben doch nicht begriffen, worauf’s wirklich ankommt, obwohl sie deine Bücher verschlungen haben: auf den Mumm in der eigenen Seele, nicht auf so einen blöden Plastikstab. Wenn die Händler in der Winkelgasse das sähen, sie würden die Hände über den Kopf zusammenschlagen. Bescheuert! Aber so sind sie halt mal, kennst es ja von Onkel Vern und Co. Greif zu! Köstliche Muffins. Hat mir meine Buchhändlerin für dich mitgegeben. Noch’nen Schluck Tee? Ja, du hast Recht: verdammte Verantwortung, und ich glaub’s dir, dass du das nicht gewollt hast. In deinem Alter plagen dich weiß Gott andere Sorgen. Find‘ ich übrigens gut, dass du dich mit deinen Leuten zwei Jahre in die schottische Bergwelt zurückziehen wirst, abseits von diesem Trubel. Weißt du, was der Cornelius gesagt hat, zwölf Jahre alt, als er das erfuhr? „Ich kann nicht zwei Jahre warten, weil: Sonst fehlt mir was in der Welt.“ Eigentlich hat er Recht: Es fehlt tatsächlich was. Aber genau das ist doch die Chance für alle Corneliüs und Cornelien. Wenn die in Hogwarts waren und die geheimen Gänge kennen, werden sie feststellen, dass es nicht nur eine unterirdische Verbindung nach Hogsmeade gibt, sondern in viele fantastische Welten in vielen anderen guten Büchern. Weißt du, was die Löffler gesagt haben soll? Du kennst die Löffler nicht? Das ist so eine kluge Lesetante. Weißt du, was die gesagt haben soll? Harry Potter sei Tolkien für Arme! Als ob es eine Grenze zwischen deiner Welt und der von Tolkien gäbe. Als ob man einen V.I.P.-Passierschein bräuchte, um ins Auenland zu kommen. Blödsinn! Wer einmal durch Harry Potters Landschaften gewandert ist, der wird zahlreiche Pfade in anderen Lesewelten entdecken, und Tolkiens Auenland gehört dazu. Natürlich muss man die Augen offen halten und gute Freunde informieren. Genau, gute Freunde! Weißt du, was ich kürzlich im Zug erlebt habe? Ein Mädchen, so um die 13, sitzt in meinem Abteil und ist im Feuerkelch versunken. An der nächsten Station steigt ihre Freundin dazu und bittet das Mädchen laut vorzulesen, weil sie auch am Ereignis teilhaben will. Gesagt, getan – so was hab ich noch nie erlebt: Lesestunde im Zug mit Freundin und vier Unbekannten! Willst du noch ein Muffin? Es reicht? Gut. Ach so, wegen deines Rückzugs. Genau das Richtige! Stell dir vor – oder lieber nicht -, du würdest ständig mit deinen Fans konfrontiert. Dieser furchtbare Erwartungsdruck: „Harry, du musst dies, Harry, du solltest das. Gib mir ein Autogramm! Darf ich dich küssen? Gibst du mir eine Locke von deinem Haar??“ Du müsstest ein arroganter Fiesling werden, oder sie würden dich in der Luft zerreißen. Die Menschen, wo gutmütig sie einzel genommen sind – in der Masse werden sie zu Hyänen. So ist das mit den Muggels. Und verrat ja niemanden, wo du dich versteckst. Auch mir nicht. Die Fans werden ohnehin in Scharen nach England reisen, auf der Suche nach Hogwarts. Einige werden schon in der King’s Cross Station vom Bahnsteig kippen, und der britische Fremdenverkehrsverband wird dir irgendwann eine Ehrennadel in Platin anheften. Obwohl, vielleicht wird’s nicht ganz so schlimmes. Isst du eigentlich Rinderhack? Ach, vergiss es, das ist ein anderes Thema. Was ich noch sagen wollte – und bitte, jetzt keine Widerrede: Ich bin unheimlich froh, dass es dich gibt. Ich halt dich nicht für einen Superhelden – das willst du ja Gott sei dank auch nicht sein. Außerdem hab ich wirklich schon bessere Literatur gelesen als die deiner Ziehmutter. Trotzdem: Sie hat etwas geleistet, was hierzulande seit Karl May niemand mehr geschafft hat – und vor allem hat sie’s viel, viel weniger martialisch und dafür um so witziger getan: Sie hat eine Parallelwelt in unsere Welt gesetzt, in der Kinder wie erwachsene ein und aus gehen können. Und ich hoffe, dass viele kleine und große Abenteurer dieses Universums genauso erkunden wie die Realwelt Nummer Eins. Weißt du, es ist unheimlich tröstlich, zu sehen, dass sich so viele Menschen in einer handyfreien Zone wohl fühlen, in der die gemächliche Eulenpost Botschaften übermittelt, nicht das Internet oder das SMS. Vielleicht ist noch nicht alles zu spät. Am schönsten aber ist – und da wirst du mir sicher zustimmen -, dass das gute alte Kopfkino noch lange nicht tot ist. Stell dir vor: das Kopfkino lebt mit all seinen Schikanen – das einzigartige, sinnliche, fantastische Abenteuer in unserem Kürbis! Anscheinend ist der bei einer Menge Leuten doch nicht ganz so voll von Gerümpel, wie man manchmal glauben muss. Harry, ich denke, wir müssen los. Dein Zug fährt fünf nach fünf. Auf Bahnsteig zwei übrigens. Ganz regulär. Bring dich noch zum Bahnhof. Luise, wir möchten zahlen! Ja, genau, vier Kännchen grünen Tee. Also bis Bald.
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